07. Jni 2008 - Konstantin Wecker & Pippo Pollina bei der Ulmer Zelt Vom überschreiten der Grenzen.... Seit Kaiserslautern auf der schon fast legendären
gemeinsamen Tour 2007 sind Konstantin und Pippo mal wieder gemeinsam auf der
Bühne, aber mit komplett neuer Band. Konstantin überlässt Pippo den Anwärmpart
und der nimmts sportlich und die Zuschauer im Sturm. Entzugserscheinungen
meinerseits? Jedenfalls überfällt mich eine Gänsehaut vom allerfeinsten. Centopassi
geht runter wie Öl, meine Hörpremiere von Jean-Pierre von Dach ist eine
ungeahnte Überraschung – er ist einfach sensationell und hat sofort einen
Ehrenplatz in meinem Gitarrenherz. Ich sitze irgendwo ziemlich weit hinten und
sehe manchmal nur kleine Teile des Gesamtbildes, aber ich höre das
Gesamtkunstwerk. Die zweite Halbzeit ist völlig anders. Wie ausgewechselt – was hat der Trainer da für eine Ansage in der Kabine gehalten? Was die Musiker da abliefern ist schlichtweg der helle Wahnsinn. Endlich Gemeinsamkeit. Manchmal hab ich Sorge, die Zeltstangen könnten einknicken über soviel Wucht und Power. Ja, so hab ich mir das vorgestellt. Sie spielen mit Herzblut und völlig entfesselt. Und man sieht, wie viel Spaß sie haben. Pippo hat daran vielleicht den größten Anteil. Durch ihn bekommen Konstantins Lieder eine ganz neue, unsterbliche Qualität, von seinen eigenen ganz zu Schweigen, denn Sambadiò mit Jos blauer Trompete unterlegt ist mindestens für den Olymp gemacht. Eine Basslinie in diese großartig gerockte Version von Terra, da blitzt die Genialität auf und das erste Mal ist diese Magie greifbar. PIppo zeigt Flagge und das hat Wirkung. Gewinner sind alle, Musik, Publikum und Band. Die hat schöne, kontrastreiche, sehr abwechslungsreiche Arrangements gebastelt, Konstantin adelt Pippos Lieder durch seine Stimme und italienisch, Pippo gibt gleichwertig zurück mit unerreichter Leichtigkeit Wie tief ist das Meer und Diese unerhörten Klänge, es wird plötzlich richtig fett und rockig und entwickelt eine ungeheure Dynamik. Jetzt ist es ein Geben und Nehmen mit einer unbändigen Lust am gemeinsamen Tun. Jetzt sind es wunderbare magische Momente von großer Innigkeit, pure Lebensfreude, frisch, quirlig, ungemein kreativ. Eine – diese! Band - steht beiden sehr sehr gut, möge es appetitanregend sein. Wenn zwei Tastenkönige da sind, freut sich der Dritte im Bunde, vertauschte Rollen wieder, diesmal begleitet Pippo Konstantin zu einer ganz starken eindrucksvollen Interpretation von Jaques Brels Amsterdam. Das ist ganz großes Kino, aber welche Steigerung noch möglich ist, wird erst jetzt livehaftig, als ein quälendes Cello und eine weinende Gitarre über den verzweifelten Worten liegen, Stirb mir ned weg, da ist Konstantin ganz er selbst. Jetzt bloß nicht wegdriften, das Highlight Bella Ciao als Tango, mit Jos Trompetenalarm, zwei starke Stimmen umlegt von zwei temperamentvollen Akustikgitarren nicht bei vollem Bewusstsein erlebt zu haben, wäre doch ein nicht zu entschuldigendes Versäumnis. Und erst recht, diese rockige Version von Insieme. Hat das die Welt schon mal gehört und gesehen? Pippo Pollina rockt das Zelt – es steht ihm verdammt gut. Bei der Vorstellung der Band sahnen Jean-Pierre und Jo mächtig ab. Die Zugaben sind ein Fest, ein Aufbegehren zum großen Finale, ein hochklassiges Feuerwerk. Sie singen völlig zu recht von Was für eine Nacht mit Szenenapplaus für Jo und dann ist Pippo die Verkörperung von Il Pianista di Montevideo, Konstantin arbeitet nun drüben an Jos Tasten, der vorn am Bühnenrand mit der Trompete den Tango aufleben lässt. Was für eine Inszenierung! Phantastisch! Das war’s noch lange nicht, sie drehen noch mal richtig auf mit natürlich! Sage Nein, aufwühlend, wütig, mit Leib und Seele, Pippo, der ganze Kerl ist eine flammende Rede, unterstreicht jedes Wort mit Gesten und Ausdruck und brennt es unauslöschbar in jedermanns Herz. Anarchie – herrscht auf der Bühne, es wird heftig gewütet und das Zelt tobt, trotz akutem Sauerstoffmangel inzwischen. Dann, zum Abkühlen, lassen sie uns Schlendern, in wunderbarer Konstantin-Pippo-Gemeinsamkeit. Ein pax-de-deux voller Poesie, ein Hautstreichler, eine Seelenoase ohne Gleichen, Hochkultur in chillouten. Und der einsetzende Regen spielt seinen eigenen Rhythmus dazu, ganz zart, als weinten die Engel… Schade, dass die beiden Halbzeiten so unausgewogen waren. Premierenschicksal vielleicht. Eine so ehrgeiziges wie großartiges Projekt zweier so absolut gleichwertiger Musikerpersönlichkeiten gehört durchgängig auf das Niveau der zweiten Hälfte. Ich bleibe neugierig und erwartungsvoll.
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